samoth
Mittwoch, 9. Mai 2007
Das unglaublichste Tanztheater meiner Welt
Im November 2005 zu Besuch in Berlin im HAU1:

Die Bühne ist rechts und links und nach hinten jeweils durch einen Vorhang begrenzt. Der Zuschauer kann nicht durch die Vorhänge sehen. Auf der Bühne liegen zwei menschengroße Puppen: eine vorne rechts und die andere in der hinteren, linken Ecke. Einige Stimmen im Publikum reden durcheinander. Werden leiser. Das Licht wird reduziert. Vereinzeltes Hüsteln. Es ist fast ruhig. Zwei Männer betreten durch eine kleine Lücke zwischen dem linken und dem hinteren Vorhang die Bühne. Und setzen sich auf den vorderen Rand der Bühne. Blicken ins Publikum. Nichts zu hören.

Die Männer auf der Bühne beginnen leise aber sehr schnell auf Englisch zu sprechen. Synchron. Dabei gestikulieren sie mit den Armen, auch synchron. Ein Streicher – er ist nicht zu sehen – beginnt eine zarte, getragene Melodie. Einer der Männer geht auf die hintere Puppe zu und setzt sich auf ihren Bauch. Der andere Mann, ein sehr heller Hauttyp mit schlankem Körper, bewegt sich entgegengesetzt auf die vordere Puppe zu. Er nimmt sie vom Boden. Stellt sie mit Gesicht zu ihm direkt vor sich. Klopft ihr auf die Schulter. Noch mal. Und legt die Hand der Puppe wiederum auf seine Schulter. Und lässt die Hand dort liegen. Er streichelt sich mit der Hand der Puppe über seinen vorderen Rücken. Und legt sie dann wieder hin. Der Tänzer geht auf die Mitte der Bühne zu. Rhythmische Schläge beginnen; sie akzentuieren die feinen Streicher-Töne – noch relativ leise und weich und in getragenem Tempo zu hören.

Der dunkelhäutige und glatzköpfige Mann, im hinteren Bühnenbereich, erhebt sich von seiner Puppe – er saß auf ihrem Kopf – und bewegt sich ebenfalls auf die Mitte der Bühne. Und steht dem hellhäutigen Mann gegenüber. Ihre Köpfe bewegen sich ganz langsam zueinander. Bis sie sich in der Mitte der Bühne schließlich leicht berühren. Die Musik gewinnt an Dynamik. Die Köpfe der beiden Körper drücken gegeneinander. Die Musik wird etwas lauter. Eine männliche Stimme beginnt ihren Gesang, passend zu der Musik, in einem leicht jammernden östlichen Klang.

Die Musik wird lauter. Kein Musiker ist zu sehen. Die beiden Männer auf der Bühne beginnen miteinander zu ringen. Die Musik wird noch ein wenig lauter. Die Schlaggeräusche gewinnen an Kraft. Die Streicher werden schneller. Der Gesang wird lauter und auch ein wenig weinerlicher, vielleicht sogar ängstlich. Die beiden Männer drücken immer noch ihre Köpfe gegeneinander, sie ringen mit den Köpfen, halten sich dabei mit den Armen fest. Bis einer der beiden Männer, der glatzköpfige und dunkelhäutige, auf den Boden fällt.

Der andere Mann macht einen Schritt zu dem liegenden Mann hin, immer noch in der Mitte der Bühne. Die Musik gewinnt weiter an Kraft. Und auch an Geschwindigkeit. Der Mann am Boden schwingt sich, mit dem rechten Bein und dann mit dem linken in die Luft kreiselnd, auf seine Beine. Und nimmt den Rhythmus der Musik auf, in schneller Schrittfolge. Dabei boxt er mit seinen Armen in Richtung des anderen, hellhäutigen Mannes. Der Arm des dunkelhäutigen Mannes stoppt immer sehr knapp vor dem hellhäutigen Arm des anderen Mannes, der sich schon mit gekreuzten Armen zur Abwehr gestellt hat. Und seinerseits beginnt den anderen zu attackieren. Und wieder umgekehrt. Mit steigender Geschwindigkeit.

Die Musik wird lauter, der Percussionist jagt die anderen Instrumente mit wildem Tempo. Die Boxbewegungen, jetzt auch mit den Beinen, werden noch schneller. Einer der beiden Männer springt mit seinem rechten Bein voraus auf den anderen, den hellhäutigen Mann, zu – und stoppt direkt vor ihm, wieder ohne ihn zu berühren. Das Licht verändert sich. Hinter dem hinteren Vorhang bilden sich, noch schemenhaft, Figuren ab. Man erkennt einen Streicher. Und noch einen. Mit Höchstgeschwindigkeit rasen deren Bögen über die Instrumente. Der Schlagzeuger schwingt seine Schlägel. Die Lautstärke erreicht die Schmerzgrenze. Die beiden Männer torpedieren sich mit Armen und Beinen und springen umeinander, dann gegeneinander – ohne sich zu berühren.

Die Musik braust weiter auf und donnert dahin. Noch lauter. Und ... bricht ab. Das Licht wird heruntergefahren, die Musikerschatten verschwinden. Zwei Männer liegen auf der Bühne.

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Letzte Aktualisierung: 2018.03.12, 20:57
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